Archiv für den Monat: Mai 2015

Adhäsionen und Adhäsionsprophylaxe

Adhäsionen stellen ein signifikantes Problem nach abdomionellen Eingriffen, Verletzungen des Peritoneums, dar. Daher wäre eine Adhäsionsprophylaxe sinnvoll.
Ten Broek RP et al. Benefits and harms of adhesion barriers for abdominal surgery: a systematic review and meta-analysis. Lancet. 2014;383:48-59
Okabayashi K et al. Adhesions after abdominal surgery: a systematic review of the incidence, distribution and severity. Surg Today. 2014;44:405-20

Adhäsionen werden in 4 Grade eingeteilt:
Grad I: leicht, stumpf trennbare Organverklebungen
Grad II: festere, noch stumpf oder scharf lösbare Verwachsungen
Grad III: feste Organadhäsionen, Stränge. Nur scharf lösbar, deutliche Vaskularisation, Organgrenzen erkennbar.
Grad IV: feste, flächenhafte Organverwachsungen, vaskularisiert, Organgrenzen nicht erkennbar, nur scharf trennbar und Organverletzungen sind nciht zu vermeiden.
Zühlke HV et al. Pathophysiology and classification of adhesions. Langenbecks Arch Chir Suppl II Verh Dtsch Ges Chir. 1990:1009-16

Die Stadien der Adhäsionsbildung, in Analogie zur Wundheilung, können wie folgt beeinflusst werden, wobei das atraumatische operieren, Spülungen und physikalische Adhäsionsbarrieren etabliert sind.
1. OP-Trauma —> atraumatisches operieren, Laparoskopie (Reduktion um 25%)
2. Entzündungsreaktion —> (Kortikosteroide, NSAR, Antibiatika)
3. Fibrinogenese —> Spülungen
4. Verklebung —> physikalische Adhäsiosnbarrieren (Hyaluronsäureester, Zellulose, u.a.)
5. unvollständige Fibrinolyse —> (Streptokinase, tPA)
6. Fibrinorganisation —> (TGF-ß u.a.)
7. permanente Adhäsion

Nach der derzeitigen Datenlage ist eine primäre Adhäsionsprophylaxe, außer gewebeschonendes Präparieren, nicht zu empfehlen. Nach adhäsionsbedingenten Relaparotomien scheint eine feste Barrieretrennung im kleinen Becken (vor allem von GynäkologInnen bevorzugt) und eine allgemeine Barrieretrennung durch Flüssigkeit möglich. In einzelnen Kliniken wird dies durch Instillation von intraabdomineller Flüssigkeit mit Drainagen während des posoperativen Verlaufes gewährleistet. Es gibt keinen direkten Vergleich zur Wirkung und Nebenwirkung (Anastomsendehiszenzen etc.)

Nach > 6 Voroperationen ist bei einem erneuten Eingriff mit bis zu 85 % iatrogenen Darmeröffnungen zu rechnen – mit allen möglichen Folgen einer Peritonitis
Van Der Krabben AA et al. Morbidity and mortality of inadvertent enterotomy during adhesiotomy. Br J Surg 2000;87:467–71

Ein kleiner Tipp am Rande: Die Qualität der äußeren Narbe kann u.U. Rückschlüsse auf die Art und das Ausmaß von Verwachsungen im Abdomen liefern.

Nachlese 119. Fortbildungsseminar – DONKO 2

Bei der Behandlung von Tumoren kommt es einerseits zu direkt metastatischen, andererseits zu endokrinen, metabolischen, vaskulären, und paraneoplastischen Auswirkungen. Neben Folgen von Strahlentherapie und Tumorchirurgie sind besonders neurotoxische Auswirkungen der Chemotherapie zu berücksichtigen.
Im chirurgischen Bereich kommt es selten zu Nervenverletzungen, die sich in Postthoracotomie-, Postmastektomiesyndrom, Phantomschmerzen nach Amputationen und auch zu Postmastektomie Syndrom äußern. Hier ist die sorgfältige neurologische Untersuchung und Schmerzcharakterisierung hilfreich. Vorwiegend medikamentöse Therapien werden eingesetzt.
Im Strahlenbereich wird konventionell zwischen akuten, verspäteten (delayed) und späten Nebenwirkungen unterschieden. Die strahlentherapeutischen Nebenwirkungen werden durch moderne Bestrahlungstechniken seltener, sind jedoch bei spät auftretenden zerebralen Symptomen oder fokalen Bestrahlungen zu berücksichtigen.
Ein Großteil der toxischen neurologischen Komplikationen sind Polyneuropathien, wobei während der Behandlung von Tumoren vorwiegend chemotherapieinduzierte Neuropathien auftreten. Andere Ursachen wie paraneoplastische Neuropathien sind selten und treten eher zu Beginn des Krankheitsbildes auf. Neoplastische Neuropathien sind eine Rarität. Bei Polyneuropathien wird zwischen 1) akuten und 2) kumulativen Nebenwirkungen unterschieden, wobei aber auch späte Effekte zunehmend beschrieben werden. Bei den akuten Effekten sind Oxaliplatin und Taxane zu nennen, bei denen schon nach den ersten Verabreichungen sensible Symptome und bei Oxaliplatin kälteabhängige Muskelkrämpfe entstehen. Die kumulative Wirkung von Chemotherapien ist bei Substanzen wie Platin, Taxanen, Vinkalkaloid, Bortezomib dosisabhängig und tritt im allgemeinen erst nach dem 3. oder 4. Zyklus auf. Die Definition der individuellen Empfindlichkeit von Patienten bei chemotherapieinduzierte Nebenwirkungen ist noch nicht verfügbar. Bei Platinum kann es auch zu einer Verschlechterung der Symptome nach Absetzen der Therapie kommen („Coasting”). Zunehmender wird bekannt, dass Patienten mit erfolgreicher Chemotherapie des Tumors auch noch nach Jahren Störungen des peripheren Nervensystems im Sinne von Gefühlstörungen und Muskelkrämpfen und Raynaud Syndrom haben, ebenso autonome Symptome. Diese Spätfolgen werden zunehmend beschrieben. Klinisch sind chemotherapieinduzierte Neuropathien vorwiegend sensibel, wobei einerseits Taubheit, andererseits Dysästhesien und Missempfindungen im Vordergrund stehen können. Sensibilitätsstörungen sind nicht nur unangenehm, sie können auch schmerzhaft sein. Bei höhergradigen sensiblen Ausfällen kommt es zu Bewegungsstörungen im Sinne von Ataxie. Die Erfassung der Polyneuropathien wird vorwiegend durch Skalen durchgeführt. Wichtige Fortschritte erhofft man sich von der Einführung von Rasch basierten klinimetrischen Skalen. Die therapeutischen und prophylaktischen Maßnahmen bei chemotherapieinduzierten Therapien sind noch sehr gering. Die Symptome des Patienten zu beachten und möglicherweise auch Dosen und/oder Substanzen der Chemotherapie zu wechseln. Bei symptomatischen Beschwerden wie Dysästhesien, Brennen, Schmerzen sind Substanzen wie Gabapentin, Pregabalin sinnvoll.
Häufige Komplikationen der Therapie sind die Nebenwirkungen von Steroiden, die neben den bekannten internistischen Nebenwirkungen auch neuropsychiatrische Nebenwirkungen und neuromuskuläre Nebenwirkungen im Sinne der Cortisonmyopathie verursachen können. Weniger bekannt ist das Auftreten von spinalen Fettansammlungen im Sinne der spinalen Lipomatose, die bis zur Umhüllung des Rückenmarkes reichen kann. Im Zusammenhang mit den Therapieeffekten ist auch zu erwähnen, dass die Therapie mit Aromatasehemmern bei Mamma-Karzinomen zu Carpaltunnelsyndromen führen können.

Anderes:
Ungelöst sind Auswirkungen auf die Muskulatur im Sinne von Kachexie, die möglicherweise einen prognostischen Faktor beim Überleben darstellt. Nicht selten sind Auswirkungen des Tumorleidens oder der allgemeinen Situation, im Sinne eines deliranten Zustandsbildes, besonders bei älteren Patienten. Bei Chemotherapie wird die Ursache und Auswirkung des „Chemobrains“ diskutiert. Schlüssige Erkenntnisse liegen noch nicht vor. Infektionen wie Herpes Zoster, CMV-Infektionen bei Immunsuppression sind Nebenwirkungen, wie sie bei schweren internen Erkrankungen und auch bei Tumoren beobachtet werden.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold