Archiv für den Monat: Juli 2018

Kongressberichte: Euregio St. Gallen und Schilddrüsenkongress München

Wissenswertes aus den 2 Kongressen. Zusammengestellt von Prof. Tuchmann
Vielen Dank!

Altbekanntes und Neues aus der Chirurgie

Sommerkongresse 2018

Ich habe im Sommer 2018 Kongresse wie Euregio St. Gallen, Schilddrüsenkongress 2018 in München, Bayerischer Chirurgenkongress Garmisch-Partenkirchen.
Es gibt immer etwas Interessantes, ..

Wusstet Ihr,
dass es nach offener Chirurgie, minimal-invasiver, robotischer und virtueller Realität noch augmentierte Realität und Information Guided Surgery gibt? (Vortrag B. Müller, Heidelberg) Die virtuelle Realität (3D) ist hauptsächlich für die OP-Planung zuständig, die Augmented Reality bei Notfall-Diagnostik!
Simulation und Navigation sind wichtig für die Ausbildung.

Neues aus der robotischen Rektumchirurgie:
England 2014: 50% aller kolorektalen Karzinome wurden laparoskopisch operiert (A.Parvaiz, Portsmouth/Lissabon).
Ergebnisse der robotischen Rektumchirurgie (Parvaiz):
240 Fälle, OP-Zeit 260 Minuten, Blutverlust 20 ml, keine Mortalität, keine Konversion.

Es gibt da noch das EARCS (European Academy Robotic Colon Surgery): www.earcs.ptWeitere Literatur:
Martinez-Perez JAMA Surg 2017: 14 RCTs
Fleshman JAMA 2015; 314: 1346
Lancet Oncol 2014; 15: 767 Corean Trial Ahmed J Colorec Dis 2017
Kim J Korea, Robotic
Miskovic Surg Endosc: Score System = Training?

Habt ihr gewusst,
dass es bei der transanalen TME (taTME) Urethraverletzungen gibt? (D. Hahnloser, Lausanne)
Dazu: Schweizer Registerstudie Rektum: Anastomoseninsuffizienz 7,3%.
Literatur:
Masy a DCR (Dis. Colon Rectum) 2009
Mathiessen BJS 2006
Opitz Langenb Arch Surg 2005: Schweizer Zahlen/ intraop. Blutungen Penna Ann Surg 2016
Swedish Trial Kressner DCR 2009
Celerier Colorec Dis 2016

Habt ihr gewusst,
dass das Kolonkarzinom in Deutschland um 17-26% zurückgegangen ist? (J. Köninger, Stuttgart)
In dieser Zeit hat das rechte Kolonkarzinom zugenommen, die Stadien I und II sind häufiger und die nodal-negativen sind ebenfalls häufiger geworden.
In den S-3 Leitlinien (Chirurgie des Kolonkarzinoms) steht: es sollte eine komplette mesokolische Exzision entlang der embryonalen Schichten gemacht werden.
Literatur:
Hohenberger Colorectal Disease 2009 Merkel BJS 2016

Zur Anatomie:
Arteria ileocolica ist immer regulär vorhanden, die Arteria colica dextra zu 25% nicht vorhanden, die Arteria colica media ist fast immer vorhanden.
Resektionsgrenzen (Schnittrand): 10 cm Abstand zum Tumor genügt, 10 cm Ileum genügt immer!

Zu Darmfunktionsstörungen nach Kolonoperation: Dafür verantwortlich sein können autonome Nerven/Resektion derselben (neurogene Diarrhoe).

Die CME (komplette mesokolische Exzision) hat auch negative Wirkungen:

  • Magenentleerung schlechter,
  • Pankreasfistel,
  • Blutungsrisiko
  • die pathologische Beurteilung des Präparates ist schwieriger
  • als Ausbildungsoperation fraglich
  • die Prognose ist nach wie vor unklar.

Habt ihr gewusst,
dass zertifizierte Darmzentren um 10% bessere 3-Jahresüberlebensraten haben als Nicht- zertifizierte Zentren in Deutschlands (Völkl, Gesundheitswesen 2018)?

Kennt ihr,
die S2k-Leitlinie über Sigmadivertikulitis? – Leifeld, Z. Gastroent. 2014 – (R. Grützmann, Erlangen)
Nach Divertikulitis-Komplikation sollte im Intervall operiert werden.
Eine Coloskopie ist wegen Karzinomkoinzidenz obligat.
Der erste Schub ist hinsichtlich einer Perforation am gefährdetsten.
Der Erhalt der Arterie mesenterica inferior ist besser als deren Resektion.

Quality of Life (QOL):
Diese ist nach dem ersten Schub schlechter; Divertikulitis und Mikroabszess (unter 1 cm): OP schlechter als konservativ; Makroabszess: OP besser als konservativ; phlegmonöse Divertikulitis: OP schlechter als konservativ.

Eine besondere Schwierigkeit: Es gibt auch gastrointestinale Beschwerden bei Divertikulitis, die nicht divertikulitisbedingt sind.
Literatur:
Polse, Int. J. Colorec. Dis. 2018,
Andeweg, Clin Gastroent. Hepatol. 2016.

Eine weitere QOL-Studie Van de Wall, Lancet Gastroent. Hepatol. 2017: 26 Krankenhäuser, rez. Diverticulitis, mindestens 50 Operationen pro Jahr, QOL 6 Mon. nach OP; Resultate: 98% laparoskopisch, 20% mit Stoma, Anastomoseninsuffizienz 15%; QOL nach OP besser als konservativ.

Zusammenfassung: Individuelle Indikationsstellung, Standard ist laparoskopisch, QOL ist hoch; Cave: Komplikationen.

Kennt ihr,
alle therapeutischen Möglichkeiten bei der perforierten Divertikulitis (Damage Control)?
Vortrag A. Shamiyeh, Linz.
Bei freier Perforation kommen unter anderem Lavage und Drainage infrage; OP-Verfahren Innsbruck (Perathoner): Resektion, Darmenden abstaplen, Second look nach 2 Tagen und eventuell Anastomosierung.

Es gibt sieben verschiedene Guidelines (Guideline Disaster): Hartmann’sche Resektion,Resektion und Schutzstoma (Constantinidis Ann. Surg. 245:94 (2007).
Lavage und Drainage (Franklin ME, WJS 2008): n=24, keine Komplikation, keine Mortalität. Myers, BJS 2008; n-100; 3 Todesfälle, 2 Hartmann; Nachteil dieser Studie viele Hintchey II – Patienten sind dabei!

Randomisierte Studien LADIES Trial (The Lancet 2015 zu viele Todesfälle in der Lavagegruppe; DILALA Ann. Surg. 2014; Agenete E.: alle Gruppen gleich; Conclusion: machbar!
Es gibt noch 6 aktuelle Metaanalysen: Galbraigth J. Gastroent. Surg. 2018.

Penna M Ann Surg 2018
EAES Consensus Papier: Bei Lavage weniger Stoma, short term morbidity ist höher.

Schilddrüsenkongress 2018
14. und 15. Juni 2018 in München

Habt ihr gewusst,
dass in Österreich die meisten Schilddrüsen operiert werden, nämlich 116/100.000 Einwohner pro Jahr, in Deutschland sind es 105/100.000, in England nur 30. (Vortrag HM. Schardey, Agatharied, D)
Die Mortalität am Schilddrüsenkarzinom ist in Deutschland 0,9%, in den Niederlanden 0,5%.

Habt ihr gewusst,
dass sich das Schilddrüsenkarzinom in den letzten 40 Jahren verdreifacht hat? – Die Operationsszahlen sind in Deutschland seit 2008 zurückgegangen.
Literatur: Verburg, Nuklearmed. 2015; 54:101; Leitlinien Chirurg 2018, Musholt,
Ein sonographisch unverdächtiger kalter Knoten kann beobachtet werden (Bartsch, Deutsches Ärzteblatt).
Vermehrte Feinnadelpunktion (FNA) führt zu einer Reduktion der Operationsfrequenz.

Habt ihr gewusst,
dass es in Deutschland ein Studoq-Register mit mehr als 10.000 Fällen gibt?
87% waren totale Thyreoidektomien, 10% hatten eine passagere Recurrensparese, 2% eine permanente!

Diskussion totale Thyreoidektomie oder subtotale oder oberen Pol zurücklassen, wenn dieser adenomfrei ist: Für das Zurücklassen von Schilddrüsengewebe spricht, dass diese Patienten bei entsprechender Kontrolle kein externes Schilddrüsenhormon zu sich nehmen müssen.

Cave retrosternale Struma, da in diesen Fällen der Nervus laryngeus recurrens speziell gedehnt werden kann, deswegen ist ein kontinuierliches Neuromonitoring notwendig. Diagnostik:
Autonome Adenome nicht punktieren, weil als Ergebnis häufig follikuläre Neoplasie (irreführend!) herauskommt.

Literatur: Deutsches Ärzteblatt, Int. 2016; 113:353; Radiology 287; April 2018.
Interessant!!
Knoten, die um 50% gewachsen sind, sind zu 97% gutartig; – Knoten, die nicht gewachsen sind, sind zu 91% gutartig!

Elastographie:
Eine Methode, um die Dichte des Schilddrüsengewebes zu bestimmen; weiche Knoten sind zu 97% gutartig.
Knoten bei über 60-Jährigen wachsen nicht!! – Japan: Papilläres Mikrokarzinom hat wenig Risiko (Beobachtungen über 25 Jahre).

Hingegen sind nach Goretzki alle kalten Knoten bei jungen Patienten verdächtig hinsichtlich papilläres Schilddrüsenkarzinom, außer es handelt sich um Zysten! Besonders wird auf Mikrokalk hingewiesen. Dazu gibt es die TIRADS-Klassifikation (thyroid imaging and reporting system): Es gibt die Stadien I (negativ) bis V (Karzinom); TIRADS III-IVa bedeutet Feinnadelpunktion, TIRADS IVb-V Operation.

Kinder und Jugendliche sollten immer operiert werden; bei erhöhtem Calcitonin (medulläres Schilddrüsenkarzinom?) soll ebenfalls immer operiert werden (Goretzki).

Der Unterschied USA – Deutschland besteht darin, dass in den USA der Beweis erbracht werden muss, dass operiert werden muss ( = Karzinomnachweis); in Deutschland wird hingegen der Ausschluss eines Karzinoms präoperativ verlangt, daher wird in Deutschland mehr operiert.

Vortrag einer Frau Dr. Wächter, Marburg über schlecht differenzierte und undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome. Das anaplastische (ATC) Schilddrüsenkarzinom macht 5% aller Schilddrüsenkarzinome aus. Mediane Überlebenszeit: je nach Stadium 3 Monate (IVc) gegenüber 9 Monaten (IVa).

Multimodale Therapien mit Paclitaxel, Carboplatin, Sorafenib.
Dann gibt es noch das PDTC (Poorly Differentiated Thyroid Carcinoma) als eigene Identität. TKI’s (Tyrosinkinaseinhibitoren) seien wirksam.

Ihr kennt sicher(?) alle
minimal invasiven Operationsverfahren bei Schilddrüsenerkrankungen. Dabei wurden die Namen Hüscher, Gagner und Miccoli genannt. Zugänge gibt es über die Brust, die Axilla, retroauriculär (das verwenden die Organisatoren dieses Kongresses Schopf und Schardey); sowie transoral.

Literatur:
Surg. Endosc. 2018; Rui (Asien);
axillärer Zugang, Ikeda, JACS 2000; 199:336;
ABBA-Methode (Axilla – bilateral – breast).
Karakas, Surgery 2011; 150:108;
Benhidjeb, Surg. Endosc. 2009: 23, 1119, sowie Der Chirurg 2010; 81:134. Die TOVAT-Methode (Transoral Video Assisted Thyreoidectomy), Benhidjeb, WJS 2016; 40:491
Surg. Endosc. 2018; 32:456, Anuwong
In England gibt es noch einen Dr. Dordea.

Aus Wiener Neustadt berichtet Herr Dr. Klein über transorale Thyreoidektomie, die auf Kai Witzel (2008) zurückgeht, sowie auf Karakas (2010) und Anuwong (2015), der das Verfahren in Wiener Neustadt am 20. und 21.6.2017 einführte. Die Inzision wird dabei an der Unterlippe möglichst cranial geführt, von dort werden die Trokare eingeführt.

In der Aufklärung muss besonders auf eine Läsion/Irritation des Nervus mentalis hingewiesen werden. In Wiener Neustadt (gemeinsam mit einer deutschen Partnerklinik) wurden bisher 29 Fälle operiert: 17 Hemithyreoidektomien, 9 totale Thyreoidektomien; Recurrensparese 1 passager, 0 permanent, bei 37 Nerves at Risk. In der Technik nach Anuwong wurden ein 10 mm Trokar und 2 5mm Trokare verwendet.

Anuwong verfügt über mehr als 400 Fälle mit keiner permanenten Recurrensparese und keinem Fall von Hypoparathyreoidismus.

Hinsichtlich Hyperthyreose:

Habt ihr gewusst,
dass ausgewählte Fälle einer thyreotoxischen Krise eine Indikation zur akuten totalen Thyreoidektomie darstellen?

Habt ihr ferner gewusst,
dass nach 18 Monaten konservativer Therapie ohne Erfolg (=Euthyreose), die totale Thyreoidektomie indiziert ist?

Die Dunhill-Operation (Belassen eines kleinen Schilddrüsenrestes auf einer Seite) ist dabei weniger indiziert. Die endokrine Orbitopathie geht durch die Operation zu 60% zurück, was mit Radiojod-Therapie nicht in demselben Ausmaß erreicht wird.

Autoimmunthyreopathie = Morbus Basedow = Struma, Tachykardie, Exophthalmus

Die Ursachen für den Morbus Basedow sind vielfältig: genetisch; Umwelt (Vitamin D-, Selenmangel); endogen (hormonell; Östrogenmangel ,Schwangerschaft); Antikörper; Diagnose: Exophthalmus, Schwirren über der Schilddrüse; in der Sonographie echoarm.

Primäre Therapie: Thyreostatika (Thiamazol, Propicil): wenn nach 12-18 Monaten kein Erfolg (nicht euthyreot) dann totale Thyreoidektomie (eher in Deutschland) oder Radiojod- Therapie (mehr in den USA verbreitet).
Die Antikörper fallen nach Operation stark ab, nach Radiojodtherapie nicht.

Für die Orbitopathie ist die Operation besser als die Radiojod-Therapie. Die Rezidivrate ist bei totaler Thyreoidektomie (0,8%) geringer als bei subtotaler Thyreoidektomie (6%). Während der Therapie der Hyperthyreose müssen die Patienten das Rauchen einstellen.

Update RFA (Radiofrequenz-Ablation):
Vortrag von Herrn Doz. Dr. Dobnig aus Graz; inzwischen mehr als 400 Fälle; stellt eine Alternative zur Radiojodtherapie dar. Die Thermoablation (139 Publikationen) ist mittels RFA (monopolar oder bipolar) möglich, ferner durch Mikrowellen-Ablation, HIFU-Ultraschall, Laserablation sowie Alkohol-Ablation.

Literatur: Dobnig, Thyroid 2018 mit 277 Fällen, Recurrensparese 1,8% (durch Hitze), etwa 1% Hyperthyreose, 1% Hypothyreose.
Die RFA wird in Lokalanästhesie durchgeführt und dauert etwa 30 Minuten; sie ist kontraindiziert bei Schrittmacherträgern.

Prof. J. Werner, München, über endokrine Pankreastumore:
Insulinome sind fast immer gutartig, Gastrinome sind häufig maligne. Nicht funktionelle NET über 2 cm sollten onkologisch reseziert werden; unter 2 cm Verlaufskontrolle möglich!

Prof. M. Walz aus Essen über Nebennierentumore:
Nebennierenrinde: 90% der Tumore sind gutartig; unter 2 cm – nie Karzinom! Phäochromocytome sind zu 50% maligne.
Walz und Mitarbeiter haben seit 1994 857 Nebennierentumore reseziert, davon waren 37 Karzinome (insgesamt über 2000 Operationen an der Nebenniere!!), aber nur 25 Nebennierenrindenkarzinome seit 2010, dabei 4 Umstiege wegen T4 (Enbloc-Resektion mit der Niere). Die laparoskopische Operation an der Nebenniere bei Karzinom zählt zu den stressreichsten Operationen überhaupt, da der Tumor keineswegs eröffnet werden darf!